The Wolf of Wall Street

Jetzt im Heimkino

hot
Biographical

Das grosse Martin Scorsese Interview

Interview: Raya Abirached

Martin Scorsese: «Ich bin kein Meister»

LONDON: In «The Wolf of Wall Street» vertraut Regielegende Martin Scorsese Leonard DiCaprio bereits zum fünften Mal die Hauptrolle an. Welche Herausforderungen der Regisseur bewältigen musste, verrät er kinowetter im Interview.

Martin Scorsese, der Film dreht sich nicht nur um Finanzen, sondern um verschiedenste, unkontrollierbare Formen von Sucht. Wie wichtig ist Ihnen diese Thematik? Der Film behandelt Stärken und Schwächen. Wenn du überzeugend bist und jemandem innerhalb einer Stunde eine Million Dollar abschwatzen kannst, egal ob es eine Lüge war oder legitim, dann ist das eine Stärke. Ausserdem geht es um Stolz, aber auch den Absturz. Auf den Absturz folgt meist das Comeback, wie wir auch aktuell in der Welt sehen können. Leute behaupten von sich, dass sie solche Taten nie begehen würden. Aber wer weiss, wozu Menschen in der Lage sind, wenn die Umstände stimmen. Das muss man sich vor Augen halten.

Wie begegneten Sie der Herausforderung Jordan Belfort Charisma zu verleihen, ohne ihn sympathisch darzustellen. Wir zielten nicht darauf ab, ihn liebenswürdig zu präsentieren. Schauspieler wie Leo können das einfach. Das erlebte ich auch mit Robert der Niro vor einigen Jahren bei «Raging Bull». Auch dort lautete die Hauptfrage: Wer schert sich um diesen Typen? Will ihn niemand sehen? Aber wir interessierten uns für ihn und in der Folge auch einige andere Leute. Das gleiche erlebte ich bereits früher, also haben wir den Film gemacht.

Woher nehmen Sie die Energie für Ihre Filme? Im Moment frisst mein Asthmaanfall am meisten Energie. Die Herausforderung bei «The Wolf of Wall Street» lag in der Grösse der Produktion, dem Equipment, den Mitarbeitern, LKWs. Obwohl «Hugo» sogar noch grösser war. Ich versuche während der riesigen Produktionsphase Energie zu sparen, indem ich schneller drehe. Auch wenn es anstrengend ist, morgens ans Set zu kommen, vergeht die Mündigkeit sobald ich die Schauspieler sehe. Plötzlich klappt alles, der Kameramann war toll und der Art Director auch. Manchmal versank alles im kontrollierten Chaos und wir hatten jede Menge Spass. Leo hat sich einige Male bei Stunts verletzt und ich musste schneller filmen. Er meinte dann: «Ich machs nochmal». Ich hab dann gesagt: «Nein, machs nicht nochmal, hör auf.» Auch wenn Jean Dujardin am Set Französisch und Englisch gesprochen hat, war das herrlich.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für Filme? Die Story muss mich faszinieren. Mit solchen Charakteren wie im Film habe ich mich schon in anderen Kontexten auseinander gesetzt. Sie alle sind verschiedene Arten von Gangstern und ich wusste einfach nicht, ob ich mich nochmal mit diesem Thema befassen will, aber Leo überredete mich. Im Voraus war mir wichtig, dass wir keiner Zensur unterliegen und ich uneingeschränkt arbeiten kann. Profanität und die Obszönität des Geldes durften dabei nicht fehlen. In einer Szene bemängelt Rob Reiner, der Jordan Belforts Vater spielt, dass sein Sohn 26.000 Dollar für ein Essen ausgegeben hat. Ich bin 71 und habe in meinem Leben auch schon Geld verschwendet und dumme Sachen angestellt, aber wenn diese Denkweise die Mentalität einer Kultur bestimmt, dann müssen wir darüber reden.

Konnten Sie als Filmemacher alle Genres verwirklichen, die Ihnen am Herzen liegen? Wahrscheinlich ist, das ist schlicht unmöglich. Manche bezeichnen mich als Meister und ich frage mich wovon? Ich bin kein Meister, wäre das aber gerne. Wahrscheinlich bin ich Meister meiner Filme, die nur ich verwirklichen kann. Wen ich als Meister betrachte, sind die Filmemacher, mit deren Werken ich in den 40ern, 50ern und 60ern aufwuchs, Jean Renoir, John Ford, Fellini, Antonioni, Truffaut und Godard. Zu denen gehöre ich nicht, ich kenn mich nur mit meinen Filmen aus. Wenn ich einen Western drehen soll, was soll ich machen, einen John Ford Western? Das klappt nicht. Diese Westernmythologie ist ausser Reichweite. Ich bin ein Stadtmensch. «Gangs of New York» hab ich gedreht, aber das ist eher ein Eastern.

Was Sie als Meister auszeichnet ist vor allem Ihre Begeisterung und Bewunderung für den Film. Wie wichtig ist es, dass Sie diese Offenheit nicht verlieren? Filmemachen ist immer noch aufregend. Ich wuchs mit auf. Meine Familie gehörte zur Arbeiterklasse, sie haben nie Bücher gelesen und ich kam erst über den Film zum Buch. Die ersten quasi transzendenten Erfahrungen machte ich mit Musik und Film und ich greife immer wieder auf sie zurück. Filme und Filmemacher überraschen mich immer wieder. Sie beleuchten die Welt aus verschiedenen Perspektiven. Man schaut sich 20, 30 oder 40 Minuten lang einen Film und plötzlich, sieht man sich selbst in einem ganz anderen Licht. Das ist ganz schön verrückt. Aber manchmal empfinde ich eben nichts. (lacht)

Aktuelle Streaming Angebote für diesen Titel:

Powered by JustWatch